facts: Herr Faradi, Midoco bietet Software für die Reiseindustrie an. Sind Sie nun ein Softwarehaus oder ein Touristikunternehmen?
Steffen Faradi: Wir sind ein Softwareunternehmen, das sich allein auf die Touristikbranche konzentriert. Unser Kernprodukt ist eine Midoffice-Software, die das Buchungs-Frontend mit der Finanzbuchhaltung verbindet. Wir fühlen uns darum beiden Branchen gleichermaßen zugehörig – und damit sehr wohl.
facts: Die Touristikbranche gilt als schwankungsanfällig. Während der Corona-Pandemie war Reisen zeitweise fast gar nicht möglich. Warum sucht man sich als Softwarespezialist ausgerechnet so eine volatile Branche aus?
Faradi: Zuerst einmal: So volatil ist die Reiseindustrie gar nicht. Corona war da die ganz große Ausnahme. Aber ob Weltfinanzkrise oder 9/11-Terror: Die Zahl der Reisen blieb über die Jahre bemerkenswert konstant. Auch eine weitere Eskalation in Nahost hat das Buchungsverhalten in Deutschland nicht beeinträchtigt. Es ist einfach eine sehr spannende Branche. Jeder Tag ist anders, immer wieder gibt es spannende Herausforderungen für unser Team. Jeder Reisemarkt hat andere Steuerregeln, Fristen, Verordnungen usw.
facts: Sie sind in der DACH-Region längst Marktführer. Dabei gab es Midoffice-Software schon lange vor Ihrer Unternehmensgründung 2005. Wie haben Sie diesen Erfolg geschafft?
Faradi: Alle drei Midoco-Gründer – das sind neben mir Jörg Hausschild und Marcus Haarmann – waren schon vorher in dem Bereich tätig, in dem wir heute noch arbeiten. Und wir haben alle gesehen, wie sehr sich der Markt durch Online-Reiseagenturen und Billigflieger verändert. Das Buchungsprozedere umfasst heute eine Vielzahl Anbieter und Bausteine. Aber die bestehenden Systeme damals konnten mit dieser neuen Komplexität gar nicht umgehen. Da haben wir mit unserem Vorwissen angesetzt und von Anfang an eine flexible Struktur gebaut, die gleichermaßen für Geschäftsreisen wie Urlaubsreisen, Online-Buchungsportale wie stationäre Reisebüros geeignet ist.
facts: Mit jährlich 13 Milliarden Euro Transaktionsvolumen laufen 30 bis 40 Prozent des deutschen Reisevertriebs über Midoco. Wo ist da noch Wachstumspotenzial?
Faradi: Organisch wird es in unserem Heimatmarkt natürlich immer schwieriger. Zumal Kunden nicht so einfach ihre Midoffice-Systeme auswechseln. Aber es gibt noch drei große Wachstumsfelder für uns: Erstens anorganisches Wachstum – also die Übernahme von Wettbewerbern beispielsweise. Zum Zweiten eine Erweiterung des Geschäftsfelds. Mit der Übernahme von Umbrella in der Schweiz haben wir nicht nur unsere Position im DACH-Markt gestärkt, sondern dank Umbrella Faces – das Reiseprofildaten verwaltet – auch ein neues, dynamisch wachsendes Produkt erworben. Und schließlich sehen wir große Chancen in der Internationalisierung. In Nordamerika befinden sich die Fluggesellschaften gerade in dem Umbruch, den wir schon vor einigen Jahren in unserem Heimatmarkt durchlaufen haben. Die Gelegenheit ist günstig, weil unsere Lösung die Veränderungen bereits berücksichtigt.
facts: Sie haben sich dennoch bewusst gegen einen angelsächsischen Investor und für die deutsche VR Equitypartner entschieden. Warum?
Faradi: Wir haben schnell gemerkt, dass die Perspektive von VR Equitypartner besser zu unserem unternehmerischen Verständnis passt. Ein Vorteil ist, dass VREP nicht an fixe Fondslaufzeiten gebunden ist. Und wir wollten gerne einen Partner haben, der wie wir aus Deutschland heraus agiert – und über ein umfangreiches M&A-Know-how verfügt.
facts: Die Zeichen stehen offenbar auf Wachstum. Erwarten Sie Gegenwind durch Entwicklungen wie Künstliche Intelligenz oder Klimasensibilität?
Faradi: Im Gegenteil. Wir setzen KI-Tools selbst bereits im Produktionsprozess und Marketing ein und sammeln hier wertvolle Erfahrungen. Zudem prüfen wir intensiv, wo KI-Komponenten einen echten Vorteil in unseren Systemen bringen könnten. Bei uns geht es um die exakte Abbildung von buchhalterischen Prozessen nach einer Reisebuchung. Hier kann KI unterstützen, aber nicht ersetzen. Zur Nachhaltigkeit: Bislang ist nicht zu erkennen, dass sich das auf das Buchungs- und Reiseverhalten auswirkt. Klar ist aber auch: Wir alle müssen daran arbeiten, klimaschonender und nachhaltiger zu wirtschaften. Über die gesamte Wertschöpfungskette in der Touristik wird an dem Thema Nachhaltigkeit gearbeitet. Das sehen und fördern auch die Reisenden.